Dienstag, 27. Oktober 2015

Die Quadratur des Kreises

... ist etwas, das eigentlich nicht möglich ist. Aber ich möchte trotzdem versuchen zu erklären, was passiert, wenn man auf Wildschweine jagen geht.
Wildschweine sind für mich das Spannendste aller Tiere. Sie sind sehr sozial, hochverträglich, sehr intelligent und lassen sich nur sehr schwer bejagen. Die Jagd auf Wildschweine findet nachts statt, da muss man schon eher von der hartgesottenen Sorte sein, wenn man nachts allein im Wald auf dem Hochsitz sitzt. Ich gehe gern nachts in den Wald, aber der Gruselfaktor begleitet mich immer. Mindestens einer meiner Hunde kommt zur moralischen Unterstützung mit, derzeit meist Freya, weil ich an unserer Bindung arbeite, eine Ansitznacht zu zweit sehr spannend ist. Es knackt und raschelt. In unserer weichgespülten Gesellschaft ist allein dieser Nervenkitzel etwas besonderes, eigentlich werden wir als Jäger, die wir nunmal von Natur aus sind, von unserer eigenen Technik genarrt. Meiner Meinung nach sind Menschen und auch Tiere dafür gemacht mehrfach in der Woche einen Adrenalinausstoss zu produzieren, warum laufen wir so weit? Weil wir das Körpergefühl mögen, wenn wir uns verausgaben. Warum versuchen kleine Kinder Frösche und Kaulquappen zu fangen? Genau, weil dort bereits dieser Nervenkitzel mit ins Spiel kommt.

Wir entwickeln immer mehr Technik, um uns vor diesem Nervenkitzel zu bewahren, aber führen wir das Ganze nicht ad absurdum?
Ist es nicht auch mit Jagdgegnern so, dass sie das, was wir uns als Menschen wünschen, auch Tieren zubilligen möchten?
Wir möchten ewig leben, die WHO hat gerade verlauten lassen, dass 50g Wurst am Tag zu Darmkrebs führen. Unweigerlich fühlte ich mich an Zigaretten erinnert, 5 Zigaretten am Tag und das Lungenkrebsrisiko steigt. Auf der anderen Seite müssen wir das Rentenalter anheben, mit 65 ist heute niemand mehr alt. Aber ist der Zustand wirklich erstrebenswert, wenn wir uns selbst um die Dinge bringen, die uns im Leben Freude machen? Ich bin jetzt nicht der angefressene Wurstesser, aber ich empfinde diese Entwicklungen als problematisch. Wie dem auch sei, dem einen sei die Wurst gegönnt, ich schiesse sie lieber.
Einhergehend mit dem Nervenkitzel, den wir Menschen offenbar brauchen, denn sonst würden wir den ja nicht bekommen, kommt auf der Jagd auch die Frage: Was habe ich getan?

Ich erinnere mich sehr gut an mein erstes Schwein, ich sass, wie immer allein auf meinem Sitz mit meinem Hund und war noch gar nicht so parat, als ich Schweine hörte. Neben dem Hörem spüre ich  Schweine, es fühlt sich an, als würde man sehr, sehr fest umarmt werden, ich kann dann kaum noch atmen, wenn sie nah sind, mein Herz hämmert.
Man hört sie zwar von weitem, aber wenn sie vor einem stehen, in der Nacht an der Kirrung, dann sehen sie aus, wie Geister. Sie sind schwierig zu bejagen, man darf trotz pochendem Herzen keinen Fehler machen und muss sehr konzentriert bei der Sache bleiben. Ich war wahnsinnig nervös, nervöser als bei meinem ersten Stück. Aber es ist eine Nervosität, die in unserer Welt keinen Namen mehr kennt, dieses alte, in der heutigen Zeit nicht mehr wichtige Jagdgen wird geweckt. Es gibt einen Moment, da schaltet sich der Kopf aus und ich fange an zu funktionieren, ich spule mein Programm ab, das ich mir vorher zurechtgelegt hab, Waffe hochnehmen, einsetzen, atmen, spannen, visieren und dann ausatmen, der Schuss bricht von allein, wenn alles passt. Es geht irgendwann im Kopf nicht mehr darum, dass man da ein Tier schiesst, sondern es geht darum, es zu überlisten. Es geht darum, dass man diesen Nervenkitzel, vor dem wir uns sonst so bewahren, spüren kann. Jagen gehört in unser genetisches Programm, wir wären niemals das geworden, was wir sind, wenn wir nicht jagen würden.
Was da aber mit mir passierte, als ich das Schwein beschossen hatte, dass darf man kaum erzählen. Wie gesagt, ich habe völlig instinktiv, ruhig und auf einer Ebene gearbeitet, die ich sonst so nicht von mir kenne. Der beschossene Frischling verendete unter meiner Kanzel, nach dem Schuss war ich über mich selbst und diese Handlung so schockiert, dass ich es kaum ertragen konnte. Mir laufen die Tränen bei jedem Stück, bei Rehen bin ich sehr bedacht, aber durch die Spannung, die die Sauenjagd mit sich bringt, war ich noch viel mehr in der Jagd selbst gefangen und gleichzeitig gehalten. Als diese Spannung abfiel und ich sicher war, dass ich den Frischling sauber getroffen hatte, war das Gefühl zwischen Stolz und Trauer stärker, als jemals zuvor.
Was habe ich dem Tier genommen? Vielleicht wäre es ein stolzer Keiler geworden? Was hätte das Leben bereitgehalten für das Tier?
Schweine sind so sozial, so spannende Tiere. Natürlich weiss ich  viel über Zuwachsraten und diese ganzen rationalen Dinge, weshalb man Schweine schiessen muss, aber nichtsdestotrotz liegt dann dort ein Individuum, eine einzelne Kreatur, ein Schicksal, das man beendet hat. Ich sage mir selbst immer wieder, dass ich das moralisch und ethische Recht habe, hinterher. Während und vor der Schussabgabe sind meine Überlegungen viel weniger breit, sondern ganz deutlich fokussiert. Jagd ist der einzige Ort, an dem mein Körper das tun kann, worauf er programmiert wurde. Ich sitze lange Zeit, schaue in den Wald, höre und atme frei vor mich hin, wenn alles gut läuft, dann hab ich irgendwann die Möglichkeit diesen Adrenalinausstoss, der uns über Jahrmillionen begleitet hat, zu bekommen. Das ist mit nichts vergleichbar, keine Achterbahn, nichts, es ist ein archaisches, spannendes Gefühl. Vermutlich sind Jäger deshalb so ausgeglichene Menschen, sie dürfen all das durchleben, wofür wir gemacht sind, sie müssen nicht künstlich weichgespült leben, sie müssen nicht so tun, als wüssten sie nicht, wozu ihr Hirn und ihr Körper gemacht sind. Ruhe und Aufregung, die wahre Quadratur des Kreises.

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